Es gibt Geschichten, die gut beginnen und schlecht enden. Diese ist nicht so eine Geschichte, sonst würde ich diese Zeilen nicht schreiben. Aber zwischendurch war uns beiden das Lachen vergangen und zwar gründlich.
An Karins Geburtstag war richtig gutes und vor allem stabiles Wetter vorhergesagt wie schon seit Jahren nicht mehr. So war für uns beide klar, eine größere Tour musste her, am besten mit Biwak. So begann der Plan zu reifen, den Blassengrat zu begehen, der kleine, aber wildere Bruder des
Jubi. Vorgenommen hatte ich mir die Tour schon ewig, gepasst hatte es
noch nie. Gesagt getan, am Mittwochnachmittag ging es los nach Garmisch und mit der Alpspitzseilbahn hinauf zum Osterfelderkopf. Schnell entflohen wir den Massen in Richtung Nordwandsteig. Unschwierig aber unendlich langsam, wegen der Hitze und dem schweren Gepäck, wanderten wir zum Bernadeinkopf und hinunter zum Stuibensee. Im Gegensatz zu dem
Biwak mit den Kindern vor zwei Jahren stiegen wir noch fast bis zum Ostgrat des Hohen Gaif auf, um dort einen wunderbaren Biwakplatz zu finden (2½ Stunden, ↑400 hm, ↓310 hm). Eine schöne Abendstimmung ließ uns in eine gute klare Biwaknacht gleiten und der Sonnenaufgang weckte uns mit seiner ganzen Pracht.
Leider zog nach dem prächtigen Sonnenaufgang das Wetter etwas herum, so war das aber nicht vorhergesagt! Und der Ostgrat auf den Hohen Gaif stellte sich als wesentlich ausgesetzter heraus als gedacht. Immer wieder sicherte ich Karin gestuft und als ich in einer steilen Rinne ziemlich am Anfang des Grates einen Stein los trat und dieser genau Karin am Helm und hinterm Ohr traf, dachte ich eigentlich schon die Tour sei zu Ende. Langsam waren wir und wir sicherten viel, einen langen Grat begehen sieht eigentlich anders aus. Am Gipfel des Hohen Gaif (1 Stunde, ↑150 hm) glaubten wir schon beide nicht mehr an die Tour, dennoch stiegen wir noch in die erste große Scharte vor den Schlüsselstellen ab (¾ Stunde, ↓80 hm). Dort fiel dann die endgültige Entscheidung, Umkehr bevor ein Rückzug schwierig wird. Wenn der Kopf nicht passt, kommt einem das Wetter manchmal zugute und so tröpfelte es immer wieder kurz auf unserem Weg zurück zum Gipfel und hinunter zu unserem Biwakplatz. Am Ende des Grates trafen wir noch eine Seilschaft, die trotz des einsetzenden Regens einstieg, wir verkrochen uns in den trockenen Biwaksack. Als der Regen nachgelassen hatte, hieß es zusammenpacken und hinunter zum Stuibensee und auf der anderen Seite wieder zum Bernateinkopf hinauf (1 Stunde, ↑150 hm, ↓180 hm). Bevor wir aber auf die Massen auf den Wanderwegen trafen, genossen wir noch eine ruhige und fast einsame Pause.
Nun könnte diese Geschichte zu Ende sein, nur noch die ½ Stunde zurück zur Alpspitzbahn über den Nordwandsteig, aber es kam anders und zwar ganz anders als wir uns das vorgestellt hatten. Direkt nach der versicherten Rinne des Steigs überholten wir zwei Klettersteiggeher und ich spurtete wie gewohnt über den breiten Weg. Kurz vor einem Absatz mit Trittsprossen musste ich zurück auf den ausgetretenen Teil des Weges und registrierte noch das Glänzen der abgetretenen Felsen. Ok, kein Problem, rutschig, keine schnellen Richtungswechsel, kein abruptes Bremsen, nur ein schneller Schritt drüber. Ich weiß nicht warum mein Fuß weggerutscht ist und noch weniger weiß ich wo mein zweiter Fuß hängen geblieben war, aber bevor ich reagieren konnte, stürzte ich auch schon kopfüber in die Nordwand der Alpspitze. Ein unschönes Gefühl, so einen Wandfuß auf sich zukommen zu sehen. Und wenn sich jemand gefragt hat, ob der Körper in so einem Moment genug Adrenalin ausschüttet um einen Aufschlag nicht zu spüren....nein. Der erste Aufschlag tat definitiv weh. Instinktiv hatte ich mich ein bisschen zur Seite gedreht und so schlug ich auf Hüfte und Ellbogen auf, krallte mich an Felsen fest und überschlug mich. Und der Flug ging weiter. Wie oft ich mich überschlagen habe weiß ich nicht, gefühlt drehte sich alles um mich herum und mit jedem Aufprall versuchte ich hektisch irgendwie den Sturz zu bremsen. Auf einem Schotterband/Rinne blieb ich dann liegen. Mein ganzer Körper schmerzte und sowohl an mir, wie auch an den umliegenden Steinen glänzte mein Blut (also ich nehme an, dass es meines war, weil mehrere Leute werden ja nicht so dämlich sein an der gleichen Stelle hinunter zu knallen). Schnell war ich auf den Beinen, einer Wandererin, die zu mir absteigen wollte, rief ich noch entgegen, dass alles in Ordnung sei (wobei glaube ich auch mehrmals das Wort Scheiße und Aua fiel) und stieg wieder zum Weg auf. Karin kam hinter mir über die Trittsprossen herunter gestiegen, ganz schön blass um die Nase, half mir die letzten Schritte zum Weg und legte mich auf unsere Rucksäcke. Sie hatte nur meinen Schrei gehört und meinen Kopf/Helm plötzlich aus ihrem Blickfeld verschwinden gesehen. Als sie um die Ecke gebogen kam, war ich schon wieder auf meinen Beinen, aber eben deutlich unter dem Weg. Auf unseren Rucksäcken, quer über den Weg liegend, machten wir erst mal Pause, bei der ich vor mich hin blutete, versuchte meinen Kreislauf weiter im Kreis laufen zu lassen und dabei nicht den guten Inhalt unserer Brotzeit zu verlieren. Karin untersuchte die Stellen, die mir am meisten weh taten, auf grobe knöcherne Verletzungen. Kaputt schien nichts zu sein, also machten wir uns auf den Weg und stiegen zur Bahn ab. Mehrmals musste ich ziemlich irre lachen. Auch wenn ich es ungern zugab, mehr noch als körperlich, hatte mich der Abflug psychisch mitgenommen. Als wir endlich aus dem steilen Geländer heraus waren und ich mich auf weichem Gras hinlegen konnte, schluchzte ich hemmungslos los. Ich konnte nichts dagegen tun, ich heulte wie ein Schlosshund und mit den Tränen fiel auch die Anspannung der letzen Stunde von mir ab. Was für eine Scheiß Schlagzeile wäre das denn gewesen:"38-jähriger stürzt auf Wanderweg aus ungeklärte Ursache in den Tod".
Humpelnd erreichten wir die Bahn (1¼ Stunden, ↑100 hm, ↓160 hm) und fuhren, unter den kritischen Blicken einiger Wanderer, zu unserem Auto zurück. Karin hatte mir das Versprechen abgenötigt, dass ich mich im Krankenhaus untersuchen lasse, oder zumindest zum Arzt gehe. Im Gegenzug bestand ich darauf, dies in München zu tun, um gleich wieder nach Hause humpeln zu können. In der Notaufnahme der Schön Klinik Harlaching (ich hatte ja schließlich Hüfte, Elbogen, Knie und Ferse, deshalb ab zur Orthopädie) sagte man mir, man könne mich nicht adäquat versorgen und ich solle doch ein Haus mit Maximalversorgung aufsuchen, hier könne man nämlich keine inneren Blutungen oder Organschäden ausschließen. Für diese Aussage musste die Schwester auch erst einen Arzt fragen, der sich übrigens nicht blicken ließ. Aus Angst vor meinen inneren Blutungen hatte man übrigens auch keinen Rettungswagen für einen Weitertransport gerufen, aber dafür meine Versichertenkarte eingelesen. Ziemlich geladen humpelte ich wieder zum Auto. Ok, dann am Heimweg noch im Schwabinger vorbeischauen, aber gleich mit der Anweisung an Karin, dass sie in der Nähe parken soll, weil ich auf langes Warten keinen Bock mehr hatte und deshalb eigentlich nach Hause wollte. An der Anmeldung der Notaufnahme schilderte ich kurz den Unfall, als ein Rettungswagen mit Notarzt ankam. Die Dame telefonierte und sagte irgend etwas von Triage in der Zwei und Polytrauma und schickte mich mit der Anweisung an das Ende des Ganges, dort an der Glastür zu läuten, bis mir jemand aufmacht. Also wieder weiter humpeln, das Schild an der Klingel:"nur für Rettungsdienst" und der volle Warteraum nebenan, kamen mir allerdings schon etwas seltsam vor. Als sich die Tür öffnete, machte ich mich schon auf Anschiss gefasst und wollte erklären, dass die Dame an der Anmeldung doch gesagt hatte, dass ich läuten soll und zwar bis mir aufgemacht wir. Aber nichts mit Anschiss....ich wurde auf eine Liege gelegt und dann ging alles ganz ganz schnell. Mit dem Polytrauma am Telefon war wohl nicht der Patient des Rettungsdienstes gemein. Die nette Ärztin erzählte mir auch, dass man nach einem Sturz wie ich ihn hatte normalerweise nicht selbst absteigt, sondern man in ein Krankenhaus geflogen wird (so weit kommts noch) und, was die Dame noch sympatischer machte, sie erklärte mir etwas von Sturzenergie (da geht dem Ingenieur natürlich das Herz auf, wenn es noch Ärzte gibt die dir etwas von Energieerhaltung erzählen). Was ich weniger schön fand war ihre Meinung dazu, wohin die Sturzenergie wirkt, nämlich nicht nur in den Stellen, die mir weh taten, sondern vor allem in meinen Bauchraum. Ok, zugegebenermaßen, tat mir inzwischen alles oberhalb der Hüfte bis unter den Rippenbogen auch weh, aber das konnte ja viele Gründe haben. Bei der Auswahl Traumaspirale (CT von Kopf bis Fuß) oder gezielte Röntgens der betroffenen Bereiche plus Ultraschall aller Organe, ließ sie noch mit sich reden, bei meiner Anmerkung, dass eine stationäre Aufnahme überhaupt nicht nötig sein, weil ja eh alles gut ist, nicht mehr. Zehn Röntgen, ein großes Ultraschall, Wundversorgung und einem Coronatest später bezog ich mein Zimmer und Karin durfte mich kurz besuchen.
Das war das Ende eines Scheißgeburtstags für Karin. Und der Tag an dem ich in Zukunft auch Geburtstag feiern kann. Ich hatte verdammtes Glück, außer ein paar Prellungen, jeder Menge blauer Flecken und Abschürfungen ist mir nichts passiert. Ein paar Meter früher oder später hätte die Geschichte ganz anders ausgesehen, liegenbleiben eher unwahrscheinlich. Ob ich wieder ohne ein blödes Gefühl in die Berge kann? Ich weiß es nicht, im Moment fühlt sich auf jeden Fall nur der Gedanke an Berge unangenehm an.